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Zacharias G. Mathioudakis - Kretischer Dichter und Autor der Märchen- und Fabelwelt - Ein Porträt

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2018-02-01 2018-02-13 01.02.2018

„Die Welt ist ein Dorf und das Dorf die Welt“

Sein Dorf heißt Klima, „mit ita“ (Κλήμα), ergänzt er freundlich, aber auf deutsch kann man das nur mit „i“ schreiben, wie „das Klima“, fügt er schmunzelnd hinzu. Die deutsche Sprache, hat er einmal gesagt, ist meine neue Geliebte und die alte Geliebte ist die griechische. Und mit den beiden Geliebten lebt er seit Jahren zusammen. Seit 1958, als er als junger Mann nach Waiblingen kam.  

In Klima erblickt er am 3.3.1932 das Licht des Lebens. Das Licht dort ist hell und das Klima heiß. Klima liegt im Südwesten Kretas (in der Nähe von Aghia Galini), in einer Region, wo es selten regnet.  

Es gab kaum Wasser damals. Dies hatte verheerende Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Viehzucht war fast unmöglich, und auch bei den Anwohnern kam es oft zu schlimmen Auseinandersetzungen an der Wasserquelle wegen des Trinkwassers. Es herrschte überall Armut. 

Hunger und Durst bestimmten den Alltag des jungen Mathioudakis, den in frühen Jahren noch der Durst nach Wissen, nach Märchen und Gedichten, den sogenannten Mantinaden (Gedichte im kretischen Idiom) packte.  

Er öffnet sich der Märchen- und Fabelwelt und beginnt, sich Notizen zu machen, um seinen Durst zu löschen.  Diese Welt fasziniert ihn und nimmt ihn mit, so wie in seinem Märchen die schöne Helena von ihren Brüdern, den zwölf Schwänen, mitgenommen wird… „sie flochten aus den biegsamen Ruten des Keuschlammstrauches ein Netz und legten sie nachts schlafend hinein, hoben das Netz mit ihren Krallen auf und flogen damit Richtung Afrika“. 

Aus Liebe und Begeisterung erfindet und erdichtet er mit Unterstützung seiner Lehrerin Eleni Kampouraki seine eigenen Märchen und Gedichte. 

Er lernt durch die Märchen das Buch kennen und diese Bekanntschaft begleitet ihn sein Leben lang. Er sammelt Bücher, er liest Bücher. Und er betont immer wieder, wie wichtig die Märchen sind; denn sie sind die ersten Bücher, die Kindern vorgelesen werden. Die Märchen waren über Jahrtausende hinweg der unschätzbare tradierte Schatz der Menschheit. 

Er schätzt dieses Gut hoch und lässt mit Einfühlsamkeit, Geduld und Sinn fürs Detail diese unverkäuflichen Kulturschätze der ihm überlieferten Märchen in seine Werke einfließen. 

In Heraklion, unweit der minoischen Kulturstätte, absolviert Mathioudakis das Gymnasium. Der Militärdienst schickt den reisefreudigen jungen Mann in den entferntesten Teil Griechenlands, an der türkischen Grenze, nach Thrazien. 

Als auch das vorbei ist, bereitet Mathioudakis seine Auswanderung vor. Traurig über den Zustand seiner Heimat, seines geliebten Kretas und Griechenlands, trägt er sich mit dem Gedanken, nach Amerika zu gehen. Über drei Millionen Menschen waren in Griechenland zu dieser von einer schlimmen Armut geplagten Zeit arbeitslos. 

Er erinnert sich an eine Begegnung in Athen mit einer jungen Griechin, die ihm nahe legt, nach Deutschland zu kommen. 

Zacharias G. Mathioudakis, ein junger Mann von 26 Jahren, beginnt mit vollem Engagement sein Agrarstudium an der Universität Hohenheim bei Stuttgart. Im Hinterkopf der Traum der Verbesserung der wirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Bedingungen in Kreta und in Klima. Im Hinterkopf auch die Märchen- und Fabelwelt.

Mathioudakis beendet sein Studium und promoviert. Jahrzehntelang gehört er zu den renommierten Insidern der EU-Agrarpolitik und gilt für das politische Griechenland als anerkannter Ansprechpartner.  Andreas Papandreou hat sich drei Mal bemüht, den jungen Wissenschaftler für die sozialistische EU-Politik Griechenlands zu gewinnen. Doch Mathioudakis liebt die Bücher, seine Welt. Die Märchen- und Fabelwelt. Die Literatur, die Poesie, die Lyrik. Er erinnert sich an seine Leute und vielleicht auch an das nicht ausgesprochene Versprechen an seine Stiefmutter Marigo Michelaki: „…Sie forderte mich eindringlich auf, unsere Märchen, unsere Geschichten, die wir nacherzählt bekamen, selbst ergänzt oder selbst erdichtet haben, doch zu schreiben und zu publizieren“, aus dem Vorwort von „ Das Wasser der Unsterblichkeit“.

Jahrzehntelang schreibt  Mathioudakis Essays für griechische und deutsche Zeitungen und Magazine, bevor er dann im Jahre 1989 im Alkyon-Verlag sein erstes Buch „Unter der Platane von Gortyna“ veröffentlicht. Ein Buch mit kretischer Prosa und Lyrik! Ein Buch zum Mit- und Nachdenken. Ein Buch mit poetisch versiertem Stil und nuancenreichen Facetten. Ein faszinierendes Buch, welches oft den Leser zum Akteur macht und den Autor zum Begleiter. Zum Beobachter.  Hier die erste Strophe von seinem Gedicht „Kreta“:

KRETA
Wenn ich auf deinen Feldern laufe,
sind meine Schritte
größer als mein Schatten.

Mathioudakis besingt Kreta, denkt aber auch an Deutschland, nimmt das Leben hier ernst und hinterfragt die „Etiketten“. Die Gastarbeiterzeit bricht ein, und er stellt fest:

AUSWEIS
Gastarbeiter nennt man mich
„He-du“ ruft man mich
Alle Berufe
Mein Beruf
Das Alter der Steine
Mein Alter
Und alle Nationalitäten
Meine Nationalität

Die Jahre vergehen. Aus Jahren sind Jahrzehnte geworden. Aus der Fremde eine Heimat? Aus der Heimat eine Fremde? Und Mathioudakis? „Ich habe mich hier nie fremd gefühlt“, meint der Dichter.

FREMDER
Als Fremden sieht man mich,
hier und dort,
immer und überall,
auch in der Heimat
sieht man mich als einen Fremden

Und mit Humor und sprachlicher Eleganz  gibt Mathioudakis dichtend seine Version auf die seit Jahrtausenden andauernde Diskussion nach Apostel Paulus und die Kreter zum Besten:

„ALLE KRETER LÜGEN“
Ich bin ein Kreter,
doch ich lüge nicht,
nicht mehr,
nicht weniger
als die anderen Menschen -
die Nichtkreter.

In der Zwischenzeit, auch dank der technischen Entwicklung im Agrarsektor, hat sich die Lebenssituation auf Kreta enorm verbessert. Durch sogenannte artesische Βrunnen (auf Überdruck basierende Brunnen) gelang es auf Kreta, Wasseradern zu zapfen, die unter dem Meeresspiegel liegen. Die bekannten Gewächshäuser von Timpaki und Umgebung zeigen, dass das Wasserproblem ein für alle Male vergessen ist.  Der Reichtum kommt nach Kreta. Die Felder blühen und die Touristen kommen. Doch Mathioudakis vergisst nicht. Und vor allem nicht seine Kindheit: Die Zeit ohne Wasser. „Das Wasser ist mit das Wichtigste auf Erden“, sagt er und fügt nachdenklich warnend hinzu:„Es wird das Problem der Zukunft sein, die Menschen in manchen Ländern mit Trinkwasser zu versorgen.“ Für Mathioudakis ist das Wasser sein Element. Und sein Buch „Das Wasser der Unsterblichkeit“, im Peter-Grohmann-Verlag, 2000 erschienen, belegt dies noch einmal. In dem gleichnamigen Märchen beleidigt der eine Bruder den anderen, weil dieser im Gegensatz zu ihm vier Mädchen, „Samenkürbisse“, hat. Seine eigenen vier Söhne könnten ihm das Wasser der Unsterblichkeit holen, dessen Töchter allerdings nicht: „…Und so geschah es. Stiefel, Hose, Bolero, Kopftuch, Gürteldolch und das beste Reitpferd bekam sie. Das Mädchen zog sich um, versteckte unter dem Kopftuch ihre Zöpfe, bekam den Segen ihres Vaters und ritt im Galopp, um das Wasser der Unsterblichkeit zu holen. Aber auch von der Familie ihres Onkels ritt gleichzeitig ein Sohn mit demselben Ziel. An einem großen Fluss trafen sich die Reiter und wollten den Strom überqueren, aber es war Hochwasser und der Vetter des verkleideten Mädchens versuchte mit einem Eimer das Wasser auszuschöpfen, damit das Wasser weniger würde, um weiterreiten zu können. Das Mädchen grüßte ironisch ihren Vetter. ´Gute Nacht, mein Vetter, so kommst du nicht weiter!`, löste ihr fransiges Kopftuch, warf ihre Haare über den Kopf bis ans andere Ufer und so konnte sie wie über eine Brücke weiter galoppieren…“.

Es ist dem Autor zu danken, dass er all diese Märchen vom kretischen Idiom übersetzt, poetisch aufbereitet und so für die Nachwelt erhalten hat. 

Das Sternzeichen des Autors ist Fisch. Vielleicht rührt daher seine Affinität zum Wasser. Ob er bereits das Wasser der Unsterblichkeit eingenommen hat? Sicher ist, dass sein Name mit seinen bisherigen Büchern jetzt schon unsterblich geworden ist.

Mathioudakis lebt heute in Stuttgart und ist für Lesungen ein gefragter Autor. 

In seiner ersten Anthologie „Gute Reise meine Augen“ im Peter Grohmann-Verlag, 1993, ist sein Gedicht „WÄRE HADES SCHÖN“ erschienen:

Wäre Hades schön,
wäre die Unterwelt schön
und könnte ich dort viele Geliebte haben,
dann gäbe ich mein Ehrenwort,
mein Ehrenwort gäbe ich,
ich habe nichts dagegen,
hier und jetzt zu sterben.

Zehn Jahre später kam dann ein weiteres Buch von ihm im Alkyon-Verlag heraus. Der Titel: Wäre Hades schön. Zweisprachig, in deutscher und griechischer Sprache. Und darin die griechische Übersetzung des Gedichtes „WÄRE HADES SCHÖN“:

Αν είχε ο Άδης ομορφιές
αγάπες για να κάμω,
δε μέ ´νοιαζε
λόγω τιμής,
λόγω τιμής
δε με `νοιαζε,
επαέ
να ποθάνω. 

Die Übersetzung oder das Original(?)! 

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